Hintergrund
Die zunehmende Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten verändert unser Leben und unseren Alltag maßgeblich. Neben den einzigartigen Chancen, die uns die Technik und das Internet bieten, stehen jedoch auch Risiken mit teilweise noch unerforschten Folgen. Während im Jahr 2010 nur 14% aller Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland ein eigenes Smartphone besaßen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2010), waren es 2018 bereits 97% (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2018). Das entspricht einem Anstieg von 693% innerhalb von 8 Jahren!
Obwohl das Phänomen der exzessiven Mediennutzung nun seit über 20 Jahren beforscht wird, ist das Wissen darüber noch sehr begrenzt. Ein Grund dafür sind u.a. die Vielfalt der verwendeten Begriffe für das Phänomen (z.B. Internet addiction, video game addiction, pathological Internet use, compulsive Internet use, Internet-related disorders) sowie diverse zugrunde liegende Definitionskriterien. Während manche Forscher Internetabhängigkeit als Überbegriff für die übermäßige Nutzung jeglicher Applikationen verwenden (soziale Netzwerke, Kommunikation, Online-Computerspiele), unterscheiden andere Forscher zwischen der Computerspiel- und der Internetabhängigkeit, wobei bei ersterem zusätzlich zwischen verschiedenen Arten (z.B. online vs. offline oder nach Genres) differenziert werden kann.
Um diesem Dilemma der unterschiedlichen Begrifflichkeiten entgegenzuwirken, definierte die American Psychiatric Association in ihrem Gegenstandskatalog DSM-V im Jahr 2013 die „Internet gaming disorder“, welche sich ausschließlich auf das Spielen von Videospielen bezieht, anhand von 9 Kriterien und rief zur weiteren Beforschung der Computerspielabhängigkeit (aber auch der Internetabhängigkeit mit analogen Kriterien) anhand dieser Definition auf (American Psychiatric Association, 2013). Die Weltgesundheitsorganisation zog schließlich im Jahr 2018 nach und erkannte die „gaming disorder“ als Diagnose an (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems [ICD-11]; World Health Organization, 2018), definierte diese jedoch nur noch anhand von den 3 Kriterien 1) Kontrollverlust, 2) steigende Priorität des Computerspielens und 3) Fortsetzung des Computerspielens trotz negativer Folgen:
Gaming disorder is characterized by a pattern of persistent or recurrent gaming behaviour (‘digital gaming’ or ‘video-gaming’), which may be online (i.e., over the internet) or offline, manifested by:
- impaired control over gaming (e.g., onset, frequency, intensity, duration, termination, context);
- increasing priority given to gaming to the extent that gaming takes precedence over other life interests and daily activities; and
- continuation or escalation of gaming despite the occurrence of negative consequences. The behaviour pattern is of sufficient severity to result in significant impairment in personal, family, social, educational, occupational or other important areas of functioning.
The pattern of gaming behaviour may be continuous or episodic and recurrent. The gaming behaviour and other features are normally evident over a period of at least 12 months in order for a diagnosis to be assigned, although the required duration may be shortened if all diagnostic requirements are met and symptoms are severe.“ (World Health Organization, 2018)
Des Weiteren gibt es im Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation die Diagnose „other specified disorders due to addictive behaviours“, unter welche man die computerspiel-unabhängige Form des exzessiven Internetgebrauches fassen könnte.
Am 1. Januar 2022 soll die ICD-11 in Kraft treten- jedoch wann die ICD-11 in Deutschland eingeführt wird, ist noch unklar (https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-11/).
Häufigkeit
Schätzungen über die Verbreitung von Computerspiel- und Internetabhängigkeit unterscheiden sich weltweit erheblich und reichen in Asien bei Computerspielabhängigkeit bis zu 21,5% (Xu & Yuan, 2008) und bei Internetabhängigkeit (inkl. Computerspielabhängigkeit) bis zu 26,7% (Shek & Yu, 2012), wobei jüngere Altersgruppen häufiger betroffen zu sein scheinen (Bakken, Wenzel, Götestam, Johansson, & Oren, 2009; Mentzoni et al., 2011; Wittek et al., 2016). Unter deutschen Jugendlichen wird die Häufigkeit von Computerspielabhängigkeit auf 5,7% (Wartberg, Kriston & Thomasius, 2017) und die Häufigkeit von Internetabhängigkeit auf 6,1% (Lindenberg, Halasy, Szász-Janocha & Wartberg, 2018) geschätzt.